Die Deisterstraße
Ein Blick in die Deisterstraße - Anwohner klagen vor allem über fehlende Parkplätze.
Hameln. Die Deisterstraße ist ein Kessel Buntes. Polen, Türken, Jugoslawen, Deutsche, Griechen, Italiener und Araber leben und arbeiten hier Tür an Tür. Das ganze „Multi-Kulti“, wie die Anwohner gern sagen, schenkt der Straße ein urbanes Flair. Hier ist immer mehr los, mit Betonung auf mehr.
Heute geht es um die Deisterstraße
Vater und Sohn bei der Arbeit.
„Das ist die dritte Hamelnstraße: Osterstraße, Bäckerstraße, Deisterstraße“, zählt Mehmet Ercan auf und wendet sich wieder den Melonen zu. Sein Sohn übernimmt das Reden, Mehmet hat nie richtig deutsch gelernt. „Das bereut mein Vater sehr“, sagt Ismail. Seit fünfzehn Jahren hat Familie Ercan schon einen Einkaufsmarkt in der Deisterstraße. Als Vater Mehmet in Rente ging, übernahm seine Tochter das Geschäft. Den Juwelier nebenan hat sie 1999 eröffnet. Ganz hinten im Laden ist eine Fleischtheke, „alles halal“, sagt Ismail, das heißt nach muslimischen Regeln geschlachtet und nicht vom Schwein.
Ein großer Mann, dessen Nachnamen „nicht mal der Postbote“ entziffern kann, wie Ismail sagt, zerteilt hinter der Theke ein Hühnerbein. In den Regalen vor der Theke stapelt sich Abgepacktes. Das Gemüse steht natürlich draußen. Von Henna bis zu türkischen Nudeln, die aus genau denselben Zutaten bestehen, wie herkömmliche Nudeln, hat er alles da. Die Kunden wollen eben, was es bei Mutter in Anatolien auch schon gab, und zwar genau das. „Manche hängen zu sehr an so was“, sagt Ismail. „Früher“, sagt er und meint um die Jahrtausendwende, „war alles wärmer“. Zwar hielten auch noch heute noch die Geschäftsleute unabhängig von ihrer Nationalität zusammen, aber seitdem immer mehr Bettler die Straße entlang streifen, seien alle etwas verdrießlich.
Das Brot wird hier im Steinofen frisch gebacken.
Im Dönerladen an der Ecke schimpft ein Türke laut in ein Mikrofon. Die Stimme des Mannes dröhnt aus dem Fernseher, der in der Ecke hängt, durch den ganzen Laden. Mustafa Tarak, der Inhaber des 2010 eröffneten Geschäftes, schneidet Fleisch vom Dönerspieß. Hinter der Theke kühlt das frische Fladenbrot ab. Das Feuer in Ofen brennt noch. Fereknaz Süzük kümmert sich um eine Pizza, dann setzt sie sich zum Gespräch.
Warum haben Sie für ihr Geschäft die Deisterstraße als Standort ausgewählt? Das ist ganz plötzlich gekommen. Der Chef macht den Beruf schon seit 16 Jahren und wir wollten es hier versuchen. Und Weil es uns hier gut gefallen hat.
Was hat Ihnen denn so gefallen? Es ist viel los, schönes Leben, schöne Stadt, schöne Menschen.
Was ist das beste an der Deisterstraße. Die Menschen sind sehr nett.
Fereknaz Süzük arbeitet zusammen mit ihrem Lebensgefährten im Dönerladen.
Die meisten Kunden sind Deutsche. 90 Prozent.
Und was ist das Schlechteste hier? Der viele Dreck, den die Menschen auf die Straße und den Fußweg werfen, und der Lärm.
Wo kommen Sie und ihr Lebensgefährte ursprünglich her? Aus Urfa, deshalb heißt der Laden so.
Fühlt sich die Deisterstraße manchmal nach Heimat an? Hm, eigentlich … nein. Aber manchmal, wenn ich auf die Straße schaue, denke ich ‚hier sieht es aus wie in Urfa‘. Wie in Urfa!
Roman Klotkowski
Davon ist bei Roman Klotkowski im Musikgeschäft weiter nördlich nichts zu merken. Der Musiker mag die Deisterstraße. Den Laden hat er vor neun Jahren von Schimmeyer übernommen und einfach alles so gelassen. „Das hier ist keine gute Lage, aber 40 Jahre ein Musikladen hier, die machen schon was aus“, findet er. Die Einrichtung im Laden scheint, nachdem sie in den 70ern modern war, einmal den Kreislauf der Trends durchlaufen zu haben. Jetzt ist sie bei authentisch und retro angelangt. Der alte braune Teppich und die angestaubten Regale wirken fast wie konserviert. „Solange ich weiß, dass es den Kunden noch gefällt, lasse ich das so“, sagt Klotkowski. In 40 Bands hat der 53-Jährige schon mitgespielt.
Klotkowski hat in mehr als 40 Bands gespielt.
Einmal ist er beim „Kahn der guten Laune“ mit Achim Menzel im MDR aufgetreten, darüber muss er selbst lachen. Längst ist der Klavierunterricht, den er in einem Hinterzimmer des Ladens, sein Garant für ein ausreichendes Einkommen. Verkauf und Reparatur von Musikinstrumenten laufe eher schlecht, „ich habe versucht, im Internet zu verkaufen, aber mit den großen Anbietern kann ich nicht mithalten.“ Früher hat Klotkowski mal in der Deisterstraße gewohnt. „Das Schönste hier sind die Gärten hinter den Häusern mit Sitzecken für alle Bewohner“, sagt er. „Du kommst aus dem Haus und die Straße lebt, es geht um das Gefühl, das Flair“, sagt er. Dafür gehen ihn Autolärm und „Startwettbewerbe an den Ampeln“ auf die Nerven. Früher, als Anwohner, habe er die Vorzüge, besonders das Einkaufsangebot, auf der Straße nicht so ausgiebig genutzt. Mittlerweile tut er das. „Mal bei Ballutsch essen oder hier zum Friseur, die haben zwar einen eigenen Stil, schneiden ganz schön kurz.“
Adnan Yilmaz führt einen türkischen Friseur an der Deisterstraße.
„Bisschen lang oben, hinten und Seiten kurz“ ist Adnan Yilmaz‘ Spezialität. In seinem Friseurladen, in dem es nach scharfem Färbemittel riecht, ist das der beliebteste Haarschnitt. In zehn Minuten schert und schnippelt er männlichen Kunden den Verkaufsschlager aufs Haupt. Dazu gibt es einen schwarzen Tee. Am Ende werden Ohrhaare abgeflämmt und Brauen mit einem Faden gezupft.
Jeder Kunde bekommt von Yilmaz einen Tee angeboten.
Adnan nimmt ein Stück in den Mund, formt eine Schlinge und holt unerwünschte Härchen vom Gesicht eines Kunden, den er nur „alter Mann“ nennt, worauf der jedes Mal lacht. „Deisterstraße ist gut, viel Kundschaft“, sagt der Chef, „ist lebendiger als woanders“. Mit den Kunden wird eher ein derber Spaß gemacht und es scheint insgesamt warm hier. Nicht wegen des Sommers draußen, sondern wegen der unverkrampft-überfreundlichen Mitarbeiter, die jedem Gast Tee anbieten, lachen, sympathisch sind.
Ein Multimedia-Projekt der Dewezet
© 2015 Deister- und Weserzeitung Hameln
Text: Julia Rau
Fotos: Nina Reckemeyer
Video/Audio: Nina Reckemeyer
Multimediale Aufbereitung: Jobst Christian Höche